Dissoziative Störungen

  1. Was sind dissoziative Zustände?
  2. Neueste Ansätze: Somatische Beschwerden als dissoziative Störung?
  3. Behandlung von dissoziativen Störungen
  4. Literatur

2. Neueste Ansätze: Somatische Beschwerden als dissoziative Störung? 

Viele Patienten mit eigentlichen dissoziativen Störungen suchen oft zunächst Hilfe wegen somatischer Erkrankungen (körperliche Beschwerden) und berichten, dass sie oder ihre Ärzte die vielfältigen und "merkwürdigen" Symptome nicht zuordnen können, die aus scheinbar unerklärlichen Gründen kommen und gehen. Es zeigte sich in neuesten Untersuchungen (insbesondere von Nijenhuis, van der Kolk), dass nicht nur die psychologischen, sondern auch die somatischen (körperlichen) Komponenten der Dissoziation bei der langfristigen Anpassung an traumatische Erlebnisse eine wichtige Rolle spielen. So sind diese Körpersymptome als somatische Dissoziation zu begreifen und als Ausdruck einer Desintegration der gesamten Persönlichkeit zu betrachten.

Die herkömmliche Definition der Dissoziation ist unzureichend, weil sie ausschließlich auf psychologischen Konzepten beruhte.

Bisher wurde übersehen, dass die chronischen körperlichen Leiden vieler Patienten tatsächlich dissoziative Störungen sind.

Gerade der renommierte Traumaexperte Ellert Nijenhuis vertritt die Auffassung, dass die Komponenten der somatoformen Dissoziation, die Betäubungs- und Erstarrungszustände verursachen, mit universellen evolutionären Überlebensstrategien von Tieren verwandt sind. Aus dieser Perspektive betrachtet könnte die menschliche Dissoziation ein direktes Resultat einer instinktiven Überlebensreaktion sein.

Es gehört zu den Merkmalen der Posttraumatischen Belastungsstörung, dass der Betroffene einerseits übererregt ist und das Trauma wiederholt nacherlebt (nicht nur in Form von Bildern kann wiedererlebt werden, sondern auch der Körper kann es!), und dass andererseits der Betroffene im Alltag wie abgeschnitten ist von den eigenen traumatischen Erlebnissen und ein Art "Nicht-Ich-Gefühl" dazu entwickelt: "Das ist mir nicht passiert." Oder: "Das ist längst vorbei, das habe ich längst überwunden." Oder: "Das hat mir gar nichts ausgemacht."

Dissoziation, verstanden als ein traumabedingter Mangel an Integration, ist bislang von Psychotherapeuten weitestgehend als eine rein psychische Angelegenheit betrachtet worden. Dissoziative Phänomene sind als Amnesie (das Nicht-Mehr-Erinnern-Können), als Derealisation (Umgebungsbedingungen nicht angemessen wahrnehmen können), als Depersonalisation (das Selbst und seine Bereiche nicht adäquat wahrnehmen können, etwa zwischen einem beobachtenden und einem erlebenden Ich spalten), als Fugue (sich körperlich von einem Ort entfernen, sich an einem anderen wiederfinden und nicht wissen, wie man dort hingekommen ist) sowie als Identitätsspaltungen beschrieben worden (s. oben).

Die körperliche Dissoziation wurde bislang im Rahmen der bisher existierenden Dissoziationstheorien ausschließlich unter der Rubrik der Depersonalisation beschrieben (auch körperliche Bereiche können unter Umständen nicht adäquat wahrgenommen werden, z.B. die eigene Hand betrachten und denken, dass sie nicht zu einem selbst gehört). Es fehlte bisher das Verständnis dafür, wie sich durch traumatischen Stress die gesamte Körperwahrnehmung verändern kann.

Dissoziationen treten auf:

  • als ein Zuviel (etwa in Form der Nachhall-Erinnerungen oder Flashbacks)
  • als ein Zuwenig (etwa ein Nichtfühlen-Können in bestimmten Körperregionen)
  • als ein Verschobensein (manchmal kommt es zu bizarren Gefühlen wie "eingegebenen" Körperempfindungen oder "entzogenen" Fähigkeiten, den Körper zu benutzen)

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